«Geschichte, Flair und Stimmung bleiben erhalten»

Für Nico Ledergerber war es beim Stahlgiesserei-Projekt die grösste Herausforderung, Denkmalschutz und Helligkeitsbedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Der Architekt des Schaffhauser Büros Ulmerledergerber verrät im Interview sein ganz persönliches Lieblingsobjekt auf dem Areal und spricht über Kraftakte, 300 Meter lange neue Plätze für Schaffhausen und den Charme von Kranbahnen.

Herr Ledergerber, was denken Sie, wenn Sie beim Sonntagsspaziergang an der Stahlgiesserei-Baustelle vorbeigehen?
Es ist immer eindrücklich, welche Dimensionen das Areal und die Überbauung haben. Das wird einem jedes Mal bewusst, wenn man davor steht. Und am Sonntag ist es speziell, weil alles still ist. Ich male mir dann jeweils aus, wie es sein wird, wenn der Bau fertiggestellt ist und die Bewohner das Areal noch einmal ganz neu zum Leben erwecken.

Wird es einem als Architekt nicht fast etwas bang, wenn einem die schiere Grösse des Projekts so vor Augen geführt wird?
Mittlerweile nicht mehr. Ich bin nun schon so lange mit der Stahlgiesserei befasst – die ersten Planungsarbeiten haben wir Ende 2013 ausgeführt. Zu Beginn musste ich das Ganze tatsächlich erst einmal sacken lassen und verarbeiten. Es war ein Kraftakt, das Projekt zu entwickeln in dieser Zeit, aber die Bauarbeiten kommen bisher sehr gut voran, die Geschichte ist ein Erfolg.

Was bedeutet Ihnen das Projekt? Es ist ja nicht selbstverständlich, dass man in seiner Karriere überhaupt je einen solch grossen Auftrag erfüllen darf.
Ja, darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht: Was bedeutet die Stahlgiesserei für meine Zukunft als Architekt? Werde ich in meinem Berufsleben noch einmal ein Projekt dieser Dimension leiten dürfen? Momentan stecken wir aber viel zu tief in der Arbeit drin, um sich lange mit diesen Fragen aufzuhalten. Klar ist: Die Stahlgiesserei ist für das gesamte Unternehmen eine grosse Herausforderungen, wir mussten umstrukturieren und neues Personal einstellen, um die ganze Arbeit bewältigen zu können.

Was ist für Sie das Besondere am Stahlgiesserei-Projekt?
Im Gegensatz zu anderen Bauten auf ehemaligen Industriearealen ist hier alles konzentriert auf einen kompakten Raum, wobei der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Elementen jederzeit ersichtlich bleibt. Die Verbindung von Alt und Neu auf diese Art ist etwas Besonderes: Auch künftig werden die Industriehallen für die Menschen unmittelbar erfahrbar bleiben. Gerade im Stadtgarten, der mit 300 Metern Länge so etwas wie das autofreie Herz des Areals ist. Das ist bedeutend für die ganze Stadt Schaffhausen: Es gibt ja nicht viele Plätze hier mit solchen Dimensionen.

Warum sind Sie sich so sicher, dass sich in der Stahlgiesserei ein neuer Stadtteil entwickelt?
Warum denn nicht? Die Mischnutzung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit in einer solch attraktiven Umgebung ist doch geradezu prädestiniert dafür. Und vergessen Sie nicht: Das Stahlgiesserei-Projekt ist in einem positiven Sinn typisch für Schaffhausen. Die Distanzen sind kurz, ob nun zum Rhein, zur Altstadt, zum Randen – alles ist kompakt, das ist auch bei unserem Projekt der Fall.

Was war Ihr ursprünglicher Leitgedanke bei der Planung?
Im Richtprojekt waren bei den Hochhäusern drei Riegel vorgesehen. Das haben wir mit der Idee der acht Hochhäuser, die wie an einer Perlenkette aufgereiht sind, durchbrochen. Unser Leitgedanke war es dabei, mehr Licht und mehr Freiraum hineinzubringen. Wichtig ist uns dabei auch die Sicht auf das Grüne links und Rechts der Stahlgiesserei. Wenn man sich in einer der oberen Etagen befindet, blickt man direkt auf Waldgebiet.

Haben Sie ein persönliches Lieblingsobjekt in der Stahlgiesserei?
Ja, der Moserbau mit dem unverwechselbaren Türmchen, den wir in vielen Bereichen so restauriert haben, dass er wieder originalen Charakter hat. Für mich ist er wie eine Art Leuchtturm für das ganze Areal. Es war der erste Meilenstein in der Entwicklung und auch jener Teil, der als erstes mit den dort arbeitenden Firmen belebt wurde. In diesem Bau befand sich früher das Bürogebäude von GF. Er stammt von einem anderen Architekten als die übrigen Bauten und wurde bereits 1917 erstellt, der Rest stammt aus den 1940er Jahren.

Was bleibt von der alten Stahlgiesserei erhalten?
Wenn man die Mühlentalstrasse entlang fährt, sieht man, dass sehr viel erhalten bleibt. Von aussen betrachtet verändert sich der Anblick gerade im vorderen Teil nicht gravierend. Interessant ist, dass die Hallen nun völlig umfunktioniert werden, ihre Geschichte, das Flair und die Stimmung aber greifbar bleiben. Denken Sie etwa an die Kranbahnen, die wir erhalten, an die Häuschen auf dem Dach über dem Stadtgarten oder an die Werksuhren, von denen zwei wieder aufgehängt werden.

Welche Funktion haben diese charakteristischen Häuschen, die Sie angesprochen haben?
Ursprünglich waren das Oblichter, durch die die Hallen aufgehellt worden sind. In Zukunft werden sie bei Regen für trockene Abschnitte im Stadtgarten sorgen – in der gesamten Stadt Schaffhausen gibt es keine solchen gedeckten Bereiche, in denen man auch bei eher schlechtem Wetter draussen verweilen kann.

Was sind die grössten Herausforderungen für Sie und Ihr Team?
Eine grosse Herausforderung war das Thema Denkmalschutz in Verbindung mit dem Thema Licht. Diese beiden Aspekte gleichzeitig zu berücksichtigen, war nicht ganz einfach. Aber es ist uns aus meiner Sicht sehr gut gelungen: Die Wohnungen werden hell und der Industrie-Charme bleibt erhalten.

Dennoch gibt es bei Einheimischen Bedenken, dass die Wohnungen im Mühlental zu schattig sind.
Das dürfte in weiten Teilen mit den Eindrücken der ehemaligen Stahlgiesserei zu tun haben. Wir bringen jetzt ja wortwörtlich Licht ins Dunkle. Letztlich muss man unterscheiden zwischen den Räumlichkeiten direkt beim Stadtgarten und den höher gelegenen Wohnungen. In der erstgenannten Zone sind die Helligkeitswerte gut – Wohn- und Arbeitsraum sind hier aber nicht in erster Linie an maximaler Helligkeit orientiert, andere Bedürfnisse stehen im Vordergrund wie etwa das urbane Leben. Man ist nahe am Puls des Geschehens, gut Vergleichbar mit einer typischen Altstadtlage. In der zweitgenannten Zone sieht man direkt die umliegenden Wälder, man lebt hier in überdurchschnittlich hellen Wohnungen und befindet sich quasi im Grünen. Auch die Besonnung ist hier ausserordentlich. Und alle Einheiten haben einen grossen Balkon.

Ulmerledergerber

Vor zehn Jahren gründeten Heinz Ulmer (Bild) und Nico Ledergerber das Architekturbüro Ulmerledergerber. Das Büro beschäftigt in Schaffhausen rund 15 Mitarbeitende. Der 70-jährige Heinz Ulmer brachte sich beim Stahlgiesserei-Projekt vor allem in der Projektphase und im Baueingabeprozess ein. Eine wichtige Rolle spielte in diesen Phasen auch der Schaffhauser Architekt Nikolas Wälli, der für das Zürcher Architekturbüro Amjgs tätig ist. Bild: Verein Atelier A, R. Brioschi

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